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AutorenbildAntonia Siep

Trauma und Stress - Pferde sind auch nur Menschen...

Jeder von uns hat wohl schonmal was von traumatisierten Pferden gehört, meist im Zusammenhang mit kontrovers diskutierten Themen wie Stierkampf, Pferderennen, Schlachttransporte, oder ähnlichem. Trauma und Stress sind jedenfalls auch bei unseren Vierbeinern verbreitet, das allerdings nicht nur in den genannten Zusammenhängen.

Um zu wissen, wie man ein Problem in den Griff kriegen kann, muss man es erstmal verstehen, daher beschäftigen wir uns doch zunächst mit Begriffsdefinitionen. Ich schreibe im Folgenden ungegendert und gehe vom Menschen aus. Der Bezug zum Pferd wird im Verlauf des Beitrags noch hergestellt, aber vieles ist verständlicher, wenn man erstmal vom Menschen ausgeht. Und - wie der Titel schon sagt... letztlich sind die Unterschiede kleiner als man vielleicht zunächst annehmen möchte.


Trauma bedeutet wörtlich übersetzt so etwas wie Verletzung, Wunde, Erschütterung. Von einem (seelischen) Trauma spricht man dann, wenn diese Verletzung bzw. ein Ereignis als existentiell bedrohlich empfunden und nicht abschliessend verarbeitet wird. Das bedeutet, der Traumatisierte hatte das Gefühl, einer grossen Bedrohung hilflos ausgeliefert zu sein. Wichtig: Die Gefahr muss nicht real gewesen sein... vereinfacht gesprochen ist es schon ausreichend, wenn ich als kleines Kind das Gefühl habe, ohne meinen Lieblings-Teddy nicht leben zu können. Wenn dieser Teddy dann verloren geht, empfinde ich das als Kind durchaus als lebensbedrohlich, andere sehen das wahrscheinlich als ganz banal an. Ein weiteres Kriterium für ein Trauma ist, dass das traumatische Ereignis lebensverändernd ist, dass es in der Wahrnehmung des Traumatisierten ein Davor und ein Danach gibt. Als traumatisch kann neben einem plötzlich eintretenden Ereignis allerdings auch eine länger anhaltende und wiederkehrende, bedrohliche Situation erlebt werden, die zwar vorhersehbar aber unausweichlich ist (z. B. Missbrauch, Mobbing, etc.).


Stress bezeichnet zum Einen durch spezifische äussere Reize (Stressoren) hervorgerufene psychische und/oder physische Reaktionen bei Lebewesen, die zur Bewältigung besonderer Anforderungen befähigen, und zum anderen die dadurch entstehende körperliche und/oder geistige Belastung. Es gibt hierbei sowohl als positiv empfundenen (Eustress) als auch negativ empfundenen (Distress) Stress und die Bewertung des Ausmasses erfolgt auch hier ganz individuell durch den Gestressten. Bildlich gesprochen: was für den einen ein lockerer Spaziergang ist, ist für den anderen die Besteigung eines Achttausenders.


Die Verarbeitung eines Traumas oder von Stress kann auf ganz verschiedene Arten erfolgen und erfolgreich sein. Ich gehe so weit, zu behaupten, dass es kein Lebewesen ohne Trauma gibt (Stress sind wir alle sowieso ständig ausgesetzt), insofern ist die anschliessende Verarbeitung bzw. Integration in den Alltag entscheidend für die weitere Belastung durch das Trauma. Die Schwere eines Traumas empfindet jeder unterschiedlich und falls ich mir wünschen darf, was Du mindestens aus diesem Beitrag mitnimmst, dann wäre es, dass du deine Mitmenschen ernst nimmst, auch wenn dir etwas ganz banal erscheint (s.o. der verlorene Teddy - für ein Kind bricht da eine Welt zusammen).


Resilienz ist vereinfacht gesprochen die Widerstandskraft des Einzelnen gegen Stressoren oder Trauma.

In der Medizin bezeichnet Resilienz auch die Aufrechterhaltung bzw. rasche Wiederherstellung der psychischen Gesundheit während oder nach stressvollen Lebensumständen und wird als Ergebnis der Anpassung an Stressoren definiert.


Die Bewertung eines Traumas oder Stresslevels hat IMMER individuell durch den Gestressten / Traumatisierten zu erfolgen bzw. ist von der individuellen Resilienz abhängig.


Was hat es nun mit der Resilienz auf sich bzw. wie entsteht die oder wie eben nicht? Die individuelle Widerstandskraft gegen Stress und Trauma hängt von sehr vielen Faktoren ab, die wichtigste Basis wird aber sicher in der frühen Kindheit und zu einem grossen Teil sogar vorgeburtlich gelegt. Vorgeburtlich? Genau und hier winkt schon das nächste Fremdwort: Epigenetik


Der Begriff Epigenetik ist zusammengesetzt aus den Wörtern Genetik und Epigenese, also der Entwicklung eines Lebewesens. Epigenetik beschreibt die Verbindung zwischen Biologie und Umwelt. Veränderungen in der Umwelt können nämlich auch zu Veränderungen in der Zelle und somit im Erbgut führen. Die Epigenetik bestimmt folglich mit, unter welchen Umständen welches Gen (und damit auch welcher Defekt, welches Trauma, etc.) aktiv in Erscheinung tritt oder wann es allenfalls stumm bleibt.


So haben neuste wissenschaftliche Studien ergeben, dass Trauma erblich sein kann. Früher nahm man an, dass Trauma-bedingtes Verhalten zwar über Generationen weitergegeben wird, dass dies aber quasi durch Abschauen passiert (das Verhalten der traumatisierten Person wird kopiert und so lebt das Trauma über Generationen weiter). Inzwischen konnte man aber in Tierversuchen nachweisen, dass ein Trauma tatsächlich genetisch weiter vererbt wird und eben nicht allein über abgegucktes Verhalten.


Ob ein Trauma (erlebt, übernommen oder geerbt) letztlich zu Problemen führt oder nicht, hängt von der Resilienz ab, und die Resilienz wird massgeblich durch die Umwelt beeinflusst und diese kann wiederum natürlich im Verlaufe eines Lebens stark schwanken. Prägende Abschnitte sind hier die Schwangerschaft, die Zeit unmittelbar nach der Geburt, der Kindergarten (beim Menschen), das Absetzen (beim Pferd) usw. Je jünger das Lebewesen, desto ungefilterter kommt der Stress auch an es heran (es gibt quasi noch kein "emotionales Immunsystem"). Mit dem Älterwerden lernen wir dann, Stress besser (oder einfach anders) zu verarbeiten, sind aber auch immer neuen Stressoren ausgesetzt. Wenn die Waage hier insgesamt ungünstig beladen wird und der Stress / das Trauma mehr wiegt als die Resilienz, dann können Probleme sichtbar werden oder Stressbewältigungsstrategien nicht mehr ausreichend greifen.


Stressbewältigungsstrategien sind - oh Wunder - auch was ganz individuelles. Der eine baut Stress in Bewegung ab, der andere braucht Ruhe und Entspannung - Vorsicht ist allerdings angezeigt, wenn die Stressbewältigung ausschliesslich aus Ablenkung besteht, dann steigt natürlich die Gefahr, dass es irgendwann zu einem Zusammenbruch kommt. Auch andere Stressbewältigungsstrategien bergen die Gefahr einer nicht hinreichenden Integration des Traumas. So sind Verdrängung, Leugnung oder Verharmlosung der Ereignisse Mechanismen, die oft sehr lange funktionieren und wenn dann "die richtigen Knöpfe gedrückt werden", sieht sich der Betroffene genau so hilflos wie als initial das Trauma entstand.


Jetzt aber endlich zum Pferd: Was sind typische oder häufige Traumatisierungen bei Pferden?

  • zu frühes oder plötzliches Absetzen

  • Unachtsames oder grobes Anreiten

  • nicht artgerechte Haltung, mangelnde Sozialisation, Isolation

  • Misshandlung, auch Missbrauch als Sport-, Schul- oder Zuchtpferd

  • Kastration, traumatischer Deckakt

  • Unfall, Sturz

  • Wechsel/Verlust von Bezugspersonen oder Pferdefreunden

  • ...

Diese Liste kann natürlich - nach dem, was ich oben geschrieben habe - einerseits nicht abschliessend und andererseits nicht zwingend sein. Es ist definitiv nicht so, dass jedes Sport- oder Schulpferd schwer traumatisiert und dadurch beeinträchtigt ist, ich hoffe, dahingehend habe ich mich verständlich ausgedrückt.


Ich merke unterwegs, wie schwierig es ist, das Thema kurz und prägnant abzuhandeln und dann noch ohne zu sagen "wir sind alle krank, egal ob Mensch oder Pferd"... denn das ist mir ganz wichtig: Jedes Lebewesen mag in seinem leben traumatischen Erlebnissen oder grossem Stress ausgesetzt sein. Deswegen ist aber nicht jedes Lebewesen auch automatisch behandlungsbedürftig.


Eigentlich ist es wirklich eine einfache mathematische Gleichung - wenn die Resilienz grösser ist als der Stress und/oder das Trauma, gibt es in der Regel kein Problem.


Wenn die Waage doch in die falsche Richtung ausschlägt gibt es reichlich Therapiemethoden bei Trauma- oder Stressproblematiken. Beim Menschen reichen diese von der Gesprächs- über die Verhaltens- und Gestaltungstherapie bis zur Konfrontationstherapie, Hypnose, usw. Nun sind einige dieser Methoden beim Pferd per se nicht so einfach machbar und doch können auch Pferde wirkungsvoll ohne direkte Konfrontation mit dem Stressor oder dem Trauma therapiert werden. Hierzu wende ich eine Methode an, die durch die Stimulation bestimmter Akupunkturpunkte darauf abzielt, das in den Zellen gespeicherte Trauma verarbeiten und letztlich loslassen zu können.


In diesem Sinne wünsche ich dir und deinem Pferd eine riesige Resilienz und gesunde Stressbewältigungsstrategien, möglichst wenige fiese Stressoren und erst Recht keine traumatischen Erlebnisse!

Und solltest du doch das Gefühl haben, dass du es mit einem sehr gestressten oder gar traumatisierten Pferd zu tun hast, dann ist das durchaus nicht das Ende der Welt - sprich mich jederzeit an.


Foto: Yvonne Zimmerli via pixabay


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